- 06.07.2025
- Artikel
- Nachhaltigkeit & CO2-Neutralität
Baustoffe im Wandel: Vier Ansätze für klimafreundliches Bauen
Der Gebäudesektor ist für einen erheblichen Teil der CO2-Emissionen verantwortlich. Um sie zu reduzieren, ist mehr als eine Lösung nötig. Vier Unternehmen zeigen, wie vielfältig die Ansätze sein können – von neuartigen Bindemitteln über CO2-Speicherung bis hin zu datenbasierter Prozessoptimierung. Ihr gemeinsames Ziel: den CO2-Fußabdruck von Baustoffen und Gebäuden deutlich zu senken.
Geschrieben von Marius Schaub

Geht es um die Bedeutung der Baubranche für den Klimawandel, schrillen gleich mehrere Alarmglocken gleichzeitig: Der Gebäudesektor verfehlt regelmäßig seine Klimaziele – nicht nur in Deutschland. Und global verursacht die Zementproduktion nahezu ein Zehntel der menschengemachten CO2-Emissionen. Gute Gründe, sich schnellstmöglich Gedanken darüber zu machen, wie die Branche ihren Carbon Footprint verschlanken kann.
Erfreulicherweise gibt es zahlreiche Akteure, die sich voll und ganz dem Ziel widmen, nicht nur die betriebsbedingten Emissionen zu reduzieren, sondern auch die Graue Energie von Gebäuden zu senken – also den Energieaufwand, der für die Herstellung, den Transport und den Einbau von Baumaterialien nötig ist. Ein Überblick über große und kleine Unternehmen, deren Auftrag in der Dekarbonisierung des Gebäudesektors besteht.
Ein neues Bindemittel für CO2-reduzierten Beton
Beton ist einer der meistgenutzten Baustoffe der Welt – und einer der CO2-intensivsten. Verantwortlich dafür ist vor allem der Zementanteil, der in der Regel rund 90 Prozent der Treibhausgasemissionen von Beton verursacht. Hier setzt Celitement an: Das Karlsruher Unternehmen hat ein alternatives Bindemittel entwickelt, das mit konventionellem Zement vergleichbar ist, aber deutlich weniger CO2 freisetzt.
Der Schlüssel liegt in der mechanochemischen Herstellung eines Bindemittels auf Basis von Calcium-Silikat-Hydrat (C-S-H) – jener festen Phase, die auch in Portlandzement für die Festigkeit sorgt. Anstatt Kalkstein bei 1.450 °C zu brennen, was erhebliche Emissionen verursacht, wird bei Celitement nur eine geringe Menge Kalkhydrat mit Quarzsand vermischt und bei moderater Temperatur im Autoklaven zu einem festen C-S-H-Stein umgesetzt. Anschließend wird dieser mechanisch aktiviert – ein Schritt, der rein elektrisch erfolgen kann und damit potenziell CO2-frei ist, wenn grüner Strom verwendet wird.
Der Vorteil für Anwender: Celitement lässt sich wie klassischer Zement verarbeiten. Es ist hydraulisch, reagiert mit Wasser, erreicht vergleichbare Früh- und Endfestigkeiten und ist auch für unbewehrten und Stahlbeton geeignet. Darüber hinaus weist der entstehende Zementstein eine besonders dichte Struktur auf, die das Eindringen schädlicher Substanzen wie Chloridionen verhindert – ein Pluspunkt für die Dauerhaftigkeit und den Korrosionsschutz.
Auch ökologisch ist der Ansatz vielversprechend. Verglichen mit herkömmlichem Grauzement spart Celitement rund 40 Prozent CO2 ein, im Vergleich zu Weißzement sogar bis zu 50 Prozent. Als Rohstoffe dienen nur Kalk und Silizium – etwa in Form von Sand –, was die Materialbasis langfristig sichert. Sogar Wüstensand könnte eingesetzt werden, da die Glätte der Sandkörner hier keine Rolle spielt.
Baumaterial wie Celitement könnte langfristig einen relevanten Beitrag zur Dekarbonisierung des Bauens leisten – nicht als Nischenprodukt, sondern als massentaugliches Bindemittel mit klaren technischen und ökologischen Vorteilen.

Kreislauf statt Deponie: Recyclingbeton spart CO2 und Ressourcen
Recyclingbeton gibt es schon lange – und genauso lange kämpfen die Anbieter mit Imageproblemen. Minderwertige Rezepturen mit Mischabbruch, unklare Eigenschaften und niedrige Nachfrage machten Herstellern von hochwertigen Sekundärbaustoffen lange das Leben schwer. Doch allmählich ändern sich der Markt und die Nachfrage. Auch durch Anbieter wie Zirkulit: Die Schweizer Marke hat sich ganz dem kreislauffähigen Bauen verschrieben. Sie recycelt Beton nicht nur, sondern wertet ihn qualitativ so hochwertig auf, dass er sich mit Primärbeton messen kann.
Im Mittepunkt steht dabei ein RC-Beton, der ausschließlich auf sortenreinem Betonabbruch basiert – also ohne Mauerwerk oder andere Beimischungen. Das verbessert die Festigkeitseigenschaften, reduziert den Wasserbedarf und sorgt für eine stabile Sieblinie der Gesteinskörnung. Möglich wird das durch moderne Aufbereitungstechnik mit fein abgestuften Fraktionen, Trennung von Schwermineralik und Leichtfraktionen und definierter Kornverteilung.
Doch Zirkulit geht weiter: Aus der Leichtfraktion des Mischabbruchs wird ein mineralischer Schaumbeton als Dämmstoff entwickelt, der als voll recycelbarer Ersatz für Styropor oder Steinwolle dient. Damit entsteht ein ganzheitlicher Ansatz: Dämmung, Mauerwerk, Fertigteile und Betonbauteile – alles aus mineralischem Rückbaumaterial.
Die Produkte erfüllen strenge Umweltanforderungen und sind zertifiziert. Besonderes Augenmerk liegt auf der Gleichwertigkeit mit Primärbaustoffen: Druckfestigkeit, Konsistenz, Dauerhaftigkeit und Verarbeitbarkeit entsprechen herkömmlichen Betonrezepturen. Darum spricht Zirkulit nicht von „RC-Beton“, sondern bewusst von „zirkulärem Beton“. Das Unternehmen zeigt, dass hochwertiges Recycling kein Kompromiss sein muss, sondern ein Innovationstreiber sein kann. Mit präziser Aufbereitung, industrieller Skalierbarkeit und einer klaren Strategie für Kreislaufwirtschaft kann Beton Teil der Lösung werden statt des Problems.
Negativemissionen mit System: Recyclingbeton als CO2-Speicher
CO2 nicht nur zu vermeiden, sondern zusätzlich aktiv aus der Atmosphäre zu entfernen ist das Ziel von Neustark. Das Schweizer Unternehmen bringt das Treibhausgas dauerhaft im Recyclingbeton unter und leistet damit einen Beitrag zu sogenannten Negativemissionen. Möglich macht das ein innovativer Prozess, der direkt bei Betonrecyclern installiert wird.
Im Zentrum steht eine einfache chemische Reaktion: Die an Zementresten haftenden Phasen im Betonabbruch reagieren mit CO2 zu stabilem Kalkstein. Dieser Prozess der natürlichen Carbonatisierung läuft üblicherweise langsam ab, wird durch Neustark aber stark beschleunigt. In einer Reaktionskammer wird das Material mit reinem CO2 aus Biogasanlagen begast. Die Vorteile für die Recyclingunternehmen sind vielfältig: Das behandelte Material hat eine höhere Festigkeit, bessere technische Eigenschaften und kann als hochwertiges RC-Material weiterverwendet zum Beispiel für Recyclingbeton werden. Zudem entstehen CO2-Zertifikate, die am Markt verkauft werden können. Die Einnahmen tragen zur Amortisation der Anlagen bei, die Neustark als Technologieanbieter liefert.
Die Speicherung ist dauerhaft: Das CO2 bleibt für Jahrtausende gebunden, es sei denn, es wird thermisch wieder zersetzt, was im Normalbetrieb ausgeschlossen ist. Damit unterscheidet sich das Verfahren von vielen CO2-Kompensationen, die auf kurzlebigen Senken wie Bäumen basieren.
Das Verfahren ist besonders dort sinnvoll, wo Recyclingbeton ohnehin schon etabliert ist. In Kombination mit anderen Maßnahmen könnte es künftig gelingen, Gebäude mit stark reduziertem oder sogar neutralem CO2-Fußabdruck zu bauen. Neustark zeigt, dass Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz auch bei mineralischen Baustoffen Hand in Hand gehen können.
Nachhaltiger Beton durch Optimierung in Echtzeit
Die Herstellung von Beton gilt traditionell als Blackbox: Während Zementwerke noch relativ gut kontrollierbar sind, fehlt beim Beton ab Werk oft die Übersicht, vor allem zwischen Mischanlage und Baustelle. Alcemy will für Transparenz sorgen und so auch CO2 einsparen. Das Berliner Unternehmen hat eine Softwareplattform entwickelt, die mithilfe von Machine Learning die Qualität von Beton in Echtzeit überwacht und vorhersagt. So lassen sich die Betoneigenschaften für jedes einzelne Lieferfahrzeug prognostizieren – von der Mischanlage bis zur Entladung auf der Baustelle. Die Software berücksichtigt dabei sowohl die Rezeptur als auch reale Prozessbedingungen wie Transportzeit, Witterung oder Wasserzugaben.
Das Ziel: weniger Zement, mehr Sicherheit. Denn bisher arbeiten viele Betonwerke mit großzügigen Sicherheitszuschlägen beim Zementanteil, um Schwankungen abzufangen. Mit Alcemy lassen sich diese Puffer gezielt reduzieren, ohne die Produktqualität zu gefährden. Das spart Kosten und senkt den CO2-Fußabdruck. Besonders relevant wird das bei der Verwendung klinkerreduzierter Zemente. Solche Zemente sind im Labor vielversprechend, aber in der Praxis schwer zu kontrollieren. Alcemy ermöglicht ihren Einsatz, weil die Software bei geringen Wasser-Zement-Werten für präzise Vorhersagen sorgt – eine Voraussetzung für planbare Festigkeiten. Neben der Betonlösung bietet Alcemy auch ein KI-Tool für Zementhersteller, das hilft, die Festigkeit des Zements schon in der Mühle vorherzusagen – ebenfalls mit dem Ziel, Energie und Klinker zu sparen.
Die ökologischen Vorteile sind offensichtlich: Weniger Zement bedeutet weniger Emissionen. Dazu kommt, dass mit präziser Steuerung auch RC-Gesteinskörnungen, aufbereitetes Wasser oder andere alternative Rohstoffe sicherer eingesetzt werden können. Für viele Kunden rechnet sich die Investition in die Software bereits nach zwei Jahren – nicht nur wegen der CO2-Einsparung, sondern auch durch reduzierten Zementverbrauch, gesicherte Qualität und bessere Planung von Labor- und Personalressourcen.
Fazit: Viele Wege führen zum Ziel
Beton ist nach Wasser der meistverwendete Stoff der Welt. Deshalb haben schon kleine Verbesserungen bei Beton und Zement große Wirkung auf globaler Ebene. Die Dekarbonisierung des Bauens setzt hier an – auf verschiedensten Wegen. Durch alternative Bindemittel, CO2-Speicherung, Rezyklate und digitale Optimierung der Herstellprozesse kann der ökologische Fußabdruck des Gebäudesektors massiv gesenkt werden.
