• 10.11.2025
  • Artikel

Zukunftstechnologien auf der POWTECH TECHNOPHARM – Teil 1

Smarte Systeme sind echte Treiber in der Industrie – und oft nötig, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Zahlreiche Aussteller auf der POWTECH TECHNOPHARM 2025 präsentierten vielfältige KI-gestützte Ansätze für eine bessere, effizientere Produktion, und das sowohl auf den Ständen als auch auf den Foren. Das reicht vom automatisierten Pulverhandling über AR-gestützte Rohrleitungsplanung bis hin zum KI-optimierten Betrieb von Energiespeichern.

Geschrieben von Dr. Ulla Reutner

KI-Bild eines humanoiden Roboters und eines Mannes in blauer Arbeitshose, der einen aufgerissen Sack mit weißem Pulver trägt.
Produkte schleppen? Auch wenn es selten so staubig zugeht wie hier: Roboter und geschlossene Fördersysteme bieten die bessere Lösung.

„Hardware“ wie etwa Schüttgutförderer, Mischer und Dosierer dominierte scheinbar die POWTECH TECHNOPHARM 2025. Doch wer sich Zeit nahm und genauer hinschaute, dem begegneten die „soften“ Technologien, die Apparate und Maschinen zu zukunftsfähigen Lösungen machen, auf Schritt und Tritt: KI, Robotik, Automatisierung und viele weitere, die eine Produktion zukunftsfähig machen. Einige Aussteller nutzten auch die Gelegenheit, um diese Lösungen auf einem der Foren vorzustellen. Drei Beispiele zeigen im Folgenden, wie unterschiedlich dabei die Ansätze sind.

Augmented Reality revolutioniert die Rohrleitungsplanung

Es beginnt bei der Anlagenplanung. Der Einsatz von Augmented Reality ist hier bereits Realität. Schon vor zwei Jahren ermöglichten Tobias Werner und Heinrich Nickel von Jacob Rohrsysteme auf der POWTECH erste Einblicke in die Potenziale von AR bei der Planung von Rohrleitungen. Inzwischen war ihr System bei mehreren Testkunden im Einsatz. Rund 580 km Rohre jährlich produziert ihr Unternehmen – und die stecken in den unterschiedlichsten Industrien – vom Zahnpastahersteller über Müsli-Mischer und Kaffeeröstereien bis hin zum Holzpellet-Produzenten. Werner sagt: „Der Planungsprozess ist Stand heute extrem zeitaufwendig und macht wenig Spaß. Aber mithilfe unserer Augmented Reality gestützten Applikation sieht das ganz anders aus. Mit Augmented Reality wollen wir die Rohrleitungsplanung revolutionieren.“

Der bisherige Prozess – vom Scannen einer Bestandsanlage vor Ort und der Erstellung eines digitalen Plans über die eigentliche Rohrplanung am Computer in einer CAD-Software und dem anschließenden Kunden-Review bis hin zur Stücklisten-Erstellung und schließlich zur Bestellung – ist von vielen Schnittstellen, beteiligten Abteilungen und händischen Schritten geprägt. Dabei passieren Ungenauigkeiten und Fehler. „Typischerweise bestellten unsere Kunden früher 15 Prozent mehr als geplant, vor allem im Bogenbereich. So wollten sie sicherstellen, dass es bei der Installation der Rohrleitung nicht zum Stopp kommt.“

Ein Mann mit AR-Brille macht eine Geste mit der Hand. Hinter ihm eine Leinwand mit technischer Projektion.
Auf der POWTECH TECHNOPHARM führte Heinrich Nickel vor, dass AR-gestützte Rohrleitungsplanung einfach und bereits Realität ist.

Kollege Nickel, mit AR-Brille HoloLens 2 ausgestattet, zeigt mitten in der Messehalle, wie es effizienter geht. Mit einigen Handbewegungen greift er auf das Jacob-Katalogprogramm zu und baut virtuell die Installation aus geraden Rohren, Bögen, Verzweigungen etc. Ein Fingerzeig bewegt Rohre, die in der Realität 30 Kilogramm wiegen würden. Was Nickel durch die Brille sieht, können die Zuschauer auf der Leinwand hinter ihm live mitverfolgen: Nach und nach entsteht ein komplexes Konstrukt. Droht eine – virtuelle – Kollision, bekommt Nickel sofort einen Hinweis und kann entscheiden, ob die Rohrleitung dennoch so erstellt werden soll, weil das Hindernis temporär ist und leicht entfernt werden kann, oder eben nicht.

Augmented Reality ist nur ein Teil der Lösung. Die von Jacob erstellte App dahinter erstellt die Zeichnung und exportiert sie, sodass sie in nahezu jedem CAD-Programm weiterverarbeitet werden kann. Nach der Freigabe durch den Kunden, der hierzu wiederum die AR-Brille nutzen kann, erzeugt das System eine Liste mit allen verplanten Bauteilen inklusive Spannringen und Dichtungen. Die Bestellung ist dann nur noch einen Klick entfernt. „Mit unserer App fassen wir mehrere Planungsschritte zu einem Vorgang zusammen und beschleunigen damit die Planung extrem“, fasst Werner zusammen. Noch sei man in der Prototypenphase und auf der Suche nach weiteren Testkunden. Zukünftig werde die Applikation zum Download freigegeben. So könnten zahlreiche Planer so davon profitieren, wie der Kunde, der in eine 1,20 Meter hohe Zwischendecke voller Rohrleitungen eine zusätzliche Luftleitung installieren musste. Dank der AR-basierten Lösung von Jacob mit Erfolg.

Perspektiven für das automatisierte Pulverhandling

Aber auch Hightech für die gesamte Produktion ist auf der POWTECH TECHNOPHARM zuhause. Einen umfassenden Überblick über die Möglichkeiten, die KI und Robotik im Pulverhandling bieten können, verschaffte Thomas Eules von der Firma Sacchi. Vom Status quo in vielen Produktionen, geprägt von einer Vielzahl manueller Prozesse, schilderte er den Übergang zur weitgehenden Automatisierung bis hin zum Ausblick auf die Smart Factory 4.0. „Im Kern geht es um die Integration der physischen in die digitale Welt“, sagt Eules und nennt Echtzeit-Datenanalyse mit Mustererkennung und zentraler Steuerung, vorbeugende Wartung, automatisierte Qualitätskontrolle und vollständige Rückverfolgbarkeit als zentrale Elemente. Zu den Herausforderungen gehöre auch die automatische Anpassung an wechselnde Bedingungen.

„Im Automotiv-Bereich kann sich niemand vorstellen, dass noch Teile von A nach B getragen werden. Aber im Pulverhandling schleppt man heute noch Säcke“, weiß der Experte und warnt vor hoher Pulverbelastung sowie Qualitätsproblemen. Bereits bei der Anlieferung der Produkte und deren Transport in die Produktion beginnt der digitale Prozess, etwa durch automatische Identifikation via Barcode, QR-Code oder RFID-Tags sowie KI-gestützter Bildverarbeitung, die Säcke identifiziert und beschädigte Gebinde erkennt. Die digitale Integration ins Lagerverwaltungssystem vermeidet Papierkram und Erfassungsfehler. Autonome Transportsysteme zur Entleerstation ermöglichen einen 24/7-Betrieb. Paletten werden zuverlässig zur richtigen Station befördert, wo Roboter die Säcke entleeren. Dabei gewährleisten 3D-Vision-Systeme sichere Greifvorgänge und die genaue Positionierung am Entleerungspunkt. Die weitere pneumatische Förderung des Pulvers vermeidet den Eintrag von Keimen oder Feuchtigkeit.

Nach der Abarbeitung der Rezeptur, beispielsweise mit Hilfe verfahrbarer Roboter, folgt das, was Eules unter „Smart Mix“ zusammenfasst: Die Mischung mithilfe KI-gestützter Prozesskontrolle unter Einsatz von integrierten Sensoren für Leistungsaufnahme, Drehmoment, Temperatur etc. KI-Software stoppt den Prozess am optimalen Mischungspunkt, dokumentiert alle Parameter und gewährleistet lückenlose Rückverfolgbarkeit. Auch Abfüllung, Verpackung und Palettierung des Endprodukts werden Teil des smarten Prozesses.

„Das Herzstück jeder Sacchi-Lösung bildet ein vernetztes Steuerungssystem, das alle Komponenten in ein übergeordnetes MES bzw. ERP-System integriert, die IoT-Infrastruktur zusammenführt und die KI-Optimierung inklusive Predictive Maintenance, Prozessoptimierung und Energiemanagement umfasst“, resümiert Eules. Wer seine bisherige Produktion in Richtung Smart Factory weiterentwickeln will, dem empfiehlt er als ersten Schritt: „Entdecken Sie den Roboter in sich! Schauen Sie: Für welche manuellen Tätigkeiten gibt es automatisierte Lösungen? Sie werden erstaunt sein, was sich da momentan am Markt tut.“ Als Zukunftsperspektiven im automatisierten Pulverhandling nennt er neben Autonomen mobilen Robotern (AMR) und fortschrittlicher KI-Analytik vor allem digitale Zwillinge. „Wir werden künftig alle Pulverhandlingprozesse vollständig virtuell abbilden, um sie zu simulieren und in Echtzeit zu optimieren“, so Eules‘ Ausblick.

KI-gestützte Multi-Use-Optimierung von Batteriespeichern

Zukunftsfähigkeit sichern sich produzierende Industrien nicht nur durch smarte Herstellungsprozesse. Auch bei der Energieversorgung zieht Intelligenz ein. Immer mehr Unternehmen setzen auf erneuerbare Energien, um ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren und die Energiekosten zu senken. Dabei gewinnen Batteriespeicher an Bedeutung, die angesichts steigender, volatiler Strompreise bei immer mehr energieintensiven Unternehmen eingesetzt werden. Wie sich diese mithilfe von KI besonders rasch amortisieren, erklärt Nicolàs Juhl, CEO bei encentive, einem 2020 gegründeten Start-up. Er unterscheidet dabei die Single-Use- von der Multi-Use-Optimierung. Letztere ist alles andere als trivial, wie Juhl in seinem Vortrag illustriert. Künstliche Intelligenz ist der Schlüssel.

Arbeitszelle mit Roboter, mehreren Paletten mit Säcken und einer Dosierstation.
Die robotergestützte Sackhandhabung mit FTS-Zuführung und vollautomatischer Dosierung lässt sich in Smart-Factory-Umgebungen integrieren.
Ein Mann im Sakko hält einen Vortrag auf dem POWTECH FORUM: Auf der Leinwand ist ein großer industrieller Batteriespeicher zu sehen.
Etliche Start-ups als Aussteller auf der POWTECH TECHNOPHARM bringen Zukunftstechnologien auf die Messe, etwa Nicolàs Juhl von encentive, der die Möglichkeiten der KI-Steuerung von Energiespeichern erläutert.

Encentive weiß die Spotmarkt-Strompreise zu nutzen, wenn Batterien intelligent be- und entladen werden. Stark variierende Strompreise, hoch bei Dunkelflaute, niedrig, wenn die Sonne scheint und der Wind weht, werden künftig die Regel sein. „Der Unterschied zwischen dem höchsten Preis und dem niedrigsten Preis für Strom hat sich in den letzten fünf Jahren nahezu vervierfacht“, sagt Juhl. Industrieunternehmen sollten also am besten dann den erneuerbaren Strom verbrauchen, wenn er produziert wird. Ein Standortleiter wiederum will dann den Strom verbrauchen, wenn ihn die Produktion benötigt. Juhl folgert: „Wir müssen also die Anlagen so steuern, dass sie den Strom möglichst dann verbrauchen, wenn er gerade günstig ist. Und wir müssen entkoppeln – über Batterien, die den Strom aufnehmen und abgeben können.“

Juhl führt die Ziele auf, die man durch eine intelligente Steuerung dieses Systems verfolgen kann: Von der Lastspitzen-Kappung und damit der Vermeidung besonders hoher Netzentgelte über die Optimierung des Eigenverbrauchs einer eigenen PV-Anlage bis hin zum Einkauf von Strom zu den günstigsten Marktpreisen. „Wenn ich versuchen will, dies alles bei der Steuerung der Batterie zu berücksichtigen, komme ich zur Multi-Use-Optimierung“, sagt Juhl und betont: „Die bringt den höchsten Mehrwert, ist aber auch am schwierigsten zu erreichen.“ Denn neben den Bedingungen, die aus den Erfordernissen der Produktion resultieren, sind auch die Faktoren zu berücksichtigen, die aus dem Betrieb der Batterie entstehen: hoher Verschleiß bei rasch aufeinander folgender Be- und Entladung und die Garantiebedingungen beispielsweise.

Teilweise widersprechen sich diese Optimierungsziele – etwa, wenn der Strompreis sehr gering ist, der Bezug von großen Strommengen aber zu hohen Netzentgelten führen würde. KI-Lösungen zur Multi-Use-Optimierung des Batteriebetriebs ziehen sämtliche Variablen in Betracht und treffen eine Entscheidung – und das zu jeder Sekunde neu. So entsteht ein Be- und Entladezyklus, der Prognosen des Verbrauchs, der Entstehung und des Preises berücksichtigt. Anders als bei der Single-Use-Optimierung, bei der sich die Batterie volllädt, solange ein Stromüberschuss von der PV-Anlage zur Verfügung steht, dann aber voll ist, wenn der Strompreis an einem sonnigen Mittag eventuell sogar negativ ist. Und bei der die Batterie abends, wenn der Strom am teuersten ist, wieder entladen ist.

Juhl illustriert dies mit einem realen Beispiel: Ein Kunde, der mit Hilfe der Single-Use-Optimierung 31.000 Euro jährlich an Stromkosten sparen konnte, entschied sich für die Multi-Use-Optimierung. „Durch Berücksichtigung der Vorhersage zu Netzentgelten, Energiepreisen und des Verbrauchs der Anlagen konnte er durch vorausschauende Be- und Entladung der Batterie über 100.000 Euro sparen.“ Auch Kühlanlagen lassen sich mit einer derartigen Energiemanagement-Plattform optimieren. Zu den Kunden des jungen Start-ups encentive gehören Unternehmen aus der Lebensmittel-, Papier- und Werkstoffindustrie. Angesprochen ist jeder, der eine stabile Stromversorgung seiner Prozesse schätzt und dabei Kosten senken will. Batteriespeicher und deren intelligente Steuerung leisten künftig gerade auch in den Zielbranchen der POWTECH TECHNOPHARM einen großen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit.

Autor

Ulla Reutner
Dr. Ulla Reutner
Chemist and freelance specialised journalist