• 10.11.2025
  • Artikel

Hoffnungsträger unter Druck – Die Pharmabranche zwischen US-Zollkeule und Preisdiktat

Im ersten Halbjahr 2025 war die Pharmakonjunktur das Leuchtfeuer der angeschlagenen europäischen Prozessindustrie. Doch mit den jüngsten politischen Volten der Trump-Administration droht die Branche an Strahlkraft zu verlieren: MFN-Doktrin, Zölle und Produktionsauflagen verunsichern die Hersteller in der EU und insbesondere in der Schweiz. Dieses Update analysiert die geopolitische Wetterlage, die Perspektiven für Europas und insbesondere Deutschlands Pharmabranche – und warum ausgerechnet die einst gefeierte Innovationsindustrie jetzt selbst unter Krisenverdacht steht.

Geschrieben von Armin Scheuermann

Darstellung der Auswirkungen der neuen US-Politik auf die europäische Pharmaindustrie. Die Komposition zeigt eine Karte von Europa mit Sternenbanner.
Die Wirtschaftspolitik der Trump-Administration wird zur Belastungsprobe für europäische Arzneimittelhersteller.

Update – Stand 28. Oktober 2025

Noch im Frühjahr 2025 galt die Pharmaindustrie als stabilisierendes Rückgrat der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Deutschland und in Europa. Schon im Konjunkturbericht vom Februar fragten wir „Europas Pharmaindustrie in Gefahr?“ und beschäftigten uns mit der Frage, was Trumps Politik für 2025 und darüber hinaus bedeutet (siehe Artikel unten). Damals schienen die Wolken am Horizont noch weit weg – denn Pharma punktete mit Forschungskraft, neuen Wirkstoffen und einem soliden Exportgeschäft.

Doch inzwischen ist klar: Auch die Pharmasparte wird von den geopolitischen Störfeuern nicht verschont – und steht spätestens seit Sommer 2025 im Zentrum einer eskalierenden Auseinandersetzung zwischen Brüssel, Bern und Washington. Was als Hoffnungsträger galt, ist plötzlich Risikoposition. Der Grund: Die USA unter Trump setzen auf wirtschaftlichen Protektionismus – mit weitreichenden Folgen für europäische Arzneimittelhersteller. Zwar gibt es aktuell noch keine Strafzölle auf Arzneimittel, doch die Signale sind unmissverständlich: Preisbindung, Produktionsanreize und geopolitische Hebel stellen die transatlantische Medikamentenversorgung unter ein neues Vorzeichen.

Handelsrahmen und politische Dynamik: Zwischen Basistarif und strategischem Druck

Seit April 2025 erhebt die US-Regierung einen generellen Basistarif von 10 Prozent auf nahezu alle Importe. Zwar wurde Pharma zunächst von diesen Zöllen ausgenommen, doch die Branche fühlt sich zurecht nicht sicher: In wirtschaftspolitischen Strategiedokumenten der Trump-Administration wird die Arzneimittelversorgung zunehmend als „nationale Sicherheitsfrage“ behandelt.

Formell gibt es bislang keine eingeführten Strafzölle auf Arzneimittel, weder gegenüber der EU noch der Schweiz. Doch Washington hat sich den Spielraum geschaffen, über Section-232-Prüfverfahren die Importabhängigkeit bei pharmazeutischen Wirkstoffen (APIs) und Fertigprodukten zu evaluieren – ein potenzieller Vorbote für künftige Quoten, Zölle oder Buy-American-Klauseln. Hinzu kommt: Handelsgespräche zwischen EU und USA kreisen seit Frühjahr 2025 um Industrieprodukte, kritische Rohstoffe und Energiemärkte. Pharmaprodukte stehen offiziell nicht auf der Agenda – inoffiziell wird die Debatte um Arzneipreise, Versorgungssouveränität und strategische Abhängigkeiten jedoch intensiver.

Waage mit der Beschriftung MFN und einer amerikanischen Waagschale (links) und einer europäischen Waagschale (rechts)
Die „Most Favoured Nation“-Preisbindung (MFN) droht zu einer neuen Eskalationsstufe im US-Protektionismus zu werden.

Die MFN-Doktrin: Mythos, Debatte oder schleichende Realität?

Eine oft zitierte Eskalationsstufe ist die sogenannte „Most Favoured Nation“ (MFN)-Preisbindung, wonach Medikamente in den USA nicht mehr kosten dürfen als in anderen wohlhabenden Ländern. Noch gibt es kein verabschiedetes MFN-Dekret, das die Preisbindung gesetzlich durchsetzt. Zwar existierte 2020 unter Trump ein entsprechender Versuch, der jedoch gerichtlich gestoppt wurde. 2025 gibt es bislang keine offizielle Neuauflage oder Executive Order. Aber: Das Konzept lebt in der politischen Debatte fort. Denkfabriken wie das Hudson Institute oder CSIS empfehlen eine internationale Preisreferenzierung. Und im Zuge der Medicare-Reform (unter dem Inflation Reduction Act) erhält die US-Regierung zunehmende Spielräume, Preise zu verhandeln – was in der Branche als schleichende MFN-Annäherung gewertet wird. Auch US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy jr. ist ein Verfechter der MFN-Preisbindung, die er wie folgt begründet: „Die USA haben zu lange die Medikamentenentwicklung weltweit mitfinanziert. Jetzt ist Schluss mit dem global freeloading.“

Tatsächlich haben bereits mehrere große Pharmaunternehmen in 2025 konkrete Preisabkommen mit der US-Regierung geschlossen, die auf einer MFN-Logik beruhen:

  • Pfizer vereinbarte im September 2025, verschreibungspflichtige Medikamente im Medicaid-Programm zu Preisen anzubieten, die dem niedrigsten Niveau in OECD-Ländern entsprechen. Im Gegenzug erhielt das Unternehmen eine befristete Zollbefreiung für US-Importe sowie Zusagen für regulatorische Erleichterungen. Pfizer verpflichtete sich zugleich zu milliardenschweren Investitionen in US-Forschung und -Produktion. Der Deal gilt als Präzedenzfall.
  • AstraZeneca folgte kurz darauf mit einem ähnlichen MFN-Abkommen. Das Unternehmen bietet ausgewählte Originalpräparate für US-Patienten zu internationalen Niedrigstpreisen an und erhielt dafür eine dreijährige Befreiung von angedrohten 100-Prozent-Zöllen. Teil des Deals sind auch Investitionszusagen für US-Produktionsstandorte.
  • Merck & Co. schloss im Oktober 2025 ein ähnlich strukturiertes Abkommen, das Preissenkungen, die Anbindung an internationale Referenzpreise und die Befreiung von Zollandrohungen kombiniert.

Diese Abkommen markieren eine historische Intervention des amerikanischen Staates in den Arzneimittelmarkt. Die Kombination aus Preisverpflichtungen, Zollbefreiungen und Investitionszusagen schafft einen faktischen Mechanismus zur Preisdeckelung nach MFN-Logik – ohne formale Gesetzgebung. Die Signalwirkung ist klar: Internationale Hersteller stehen unter Zugzwang, ähnliche Zugeständnisse zu machen.

Produktionsdruck made in USA: Von Anreizen zu strukturellem Standortnachteil

Die Trump-Administration drängt seit Amtsantritt auf die Rückverlagerung pharmazeutischer Lieferketten. Unter dem Banner von „Project Secure Pharma Supply“ entstehen gezielte Anreizprogramme für API- und Fill-&-Finish-Investitionen in den USA. Die politische Stoßrichtung ist klar: Wer in den USA produziert, wird bevorzugt: beim Marktzugang, bei regulatorischer Unterstützung und potenziell auch bei Zollfragen. Insbesondere mittelständische Pharmaunternehmen aus Europa, die keine Fertigungswerke in den USA unterhalten, geraten hier strukturell unter Druck. Konzerne wie Roche, Novartis oder Sanofi, die über eigene US-Produktionsnetzwerke verfügen, sind besser aufgestellt.

Originalpräparate im geopolitischen Fadenkreuz

In der Diskussion um pharmazeutische Handelspolitik stehen nicht Generika, sondern Originalpräparate im Zentrum. Darunter versteht man patentgeschützte Arzneien, die unter einem Markennamen vermarktet werden und oftmals hohe Margen erzielen. Warum gerade sie? Weil sie politisch sichtbar sind, wirtschaftlich ins Gewicht fallen und die größten Preisunterschiede aufweisen. OECD-Daten zufolge liegen die US-Preise für solche Medikamente im Schnitt drei- bis viermal höher als in Europa. Würde eine MFN-Regelung tatsächlich eingeführt, könnte ein niedriger Listenpreis in Deutschland, Frankreich oder der Schweiz zum Referenzpreis für den US-Markt werden. Das würde die globale Preissetzungsstrategie europäischer Hersteller fundamental verändern. Die Folge: spätere Markteinführungen in Europa, höhere Listenpreise mit stärkeren Rabattmodellen oder eine strategische Umverlagerung von F&E-Investitionen.

Marktlage & Perspektiven: Wachstum unter Vorbehalt

Die globalen Pharmamärkte wachsen weiter, aber die Dynamik verschiebt sich. 2024 entfielen laut EFPIA 54,8 Prozent der weltweiten Pharmaverkäufe auf Nordamerika, 22,7 Prozent auf Europa. Von den Erlösen mit Neuzulassungen entfielen in den Jahren 2019 bis 2023 rund 67 % auf die USA, die fünf größten EU-Länder kamen zusammen auf unter 16 Prozent. Der Branchendienst IQVIA prognostiziert bis 2029 weiter steigende globale Arzneimittelausgaben, aber mit geringerer Dynamik in Europa. Zusätzlich zur Marktschwerkraft kommen politische Unsicherheiten, regulatorische Belastung und Standortnachteile. In Deutschland rechnet der VCI mit einer Stagnation 2025, eine Erholung sei nicht vor 2026 zu erwarten. Eurostat verzeichnet zwar eine leicht positive Industrieproduktion, doch das Bild bleibt von Unsicherheit geprägt.

Fazit: Anpassungsdruck statt Eskalation

Noch sind Zölle, MFN-Preisbindungen und Produktionsauflagen keine Gesetzesrealität. Aber sie sind Szenarien mit wachsender politischer Traktion. Für Europas Pharmabranche heißt das: Sie muss ihre Preisarchitektur widerstandsfähiger, ihre Launch-Strategien flexibler und ihre Produktionsnetzwerke geopolitisch resilienter machen. Die Zeit stabiler Transatlantik-Verhältnisse ist vorbei. Willkommen im Zeitalter pharmazeutischer Realpolitik.

Februar 2025: Europas Pharmaindustrie in Gefahr? Was Trumps Politik für 2025 und darüber hinaus bedeutet

Weltweit erlebt die Pharmaindustrie einen Aufschwung, doch europäische Hersteller sehen sich mit Herausforderungen konfrontiert: Die neue amerikanische Regierung könnte den Zugang zum wichtigsten Absatzmarkt erschweren – mit gravierenden Folgen für die Pharmaindustrie.

Antidepressiva fördern Schießereien an Schulen und Covid-19-Impfstoffe sind Verbrechen gegen die Menschheit – die Behauptungen von Robert F. Kennedy Jr. reihen sich ein in die Kakophonie schillernder Persönlichkeiten der aktuellen US-Politik. Brisant daran: Kennedy trägt nicht nur einen berühmten Namen, der bekennende Impfgegner ist auch designierter Gesundheitsminister der Trump-Administration. Und die Personalie wirft ein Schlaglicht auf die möglichen Folgen der Trump-Politik für Arzneimittelhersteller in Europa.

Abnehmspritzen, Präparate gegen Krebs und Alzheimer, neue Biologika – in den vergangenen zwei Jahren waren die positiven Meldungen über neue Investitionsprojekte der Pharmaproduzenten in Europa und Deutschland vielfältig und zahlreich. Dieser Trend wird nicht nur durch die Entwicklung neuer Produkte, sondern auch durch spezifische Standortfaktoren vorangetrieben. Aktuell ernten die Hersteller die Früchte ihrer langjährigen Entwicklungsanstrengungen: Bis 2025 könnten allein deutsche Hersteller die Zulassung für 40 neue Präparate erhalten. Doch es ziehen bereits Wolken auf.

Schon 2024 sah sich die chemisch-pharmazeutische Industrie weltweit mit erheblichen wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen konfrontiert. Sowohl in Deutschland als auch in Europa stand der Sektor vor strukturellen Anpassungen, Kostensteigerungen und globalen Marktdynamiken. Die Weltwirtschaft hat nicht wie erhofft Fahrt aufgenommen, was sich auch in den Eckdaten der chemisch-pharmazeutischen Industrie widerspiegelt. Die Branche konnte seit dem zweiten Quartal 2024 nicht an den guten Jahresbeginn anknüpfen. Dies betrifft nicht nur die Branche insgesamt, sondern auch die pharmazeutischen Hersteller. Aktuelle Analysen zeigen, dass die Verkäufe pharmazeutischer Erzeugnisse ins Ausland zuletzt rückläufig waren und die Produktion zurückging.

Deutschland: Herausforderungen für den Standort

Die Bilanz der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Deutschland präsentiert sich laut Branchenverband VCI gemischt. Obwohl die Produktion im Jahr 2024 um 2 Prozent gesteigert werden konnte, liegt sie immer noch 16 Prozent unter dem Niveau von 2018. Insbesondere die Pharmaproduktion verzeichnete einen Rückgang um 1,5 Prozent, bedingt durch Lieferkettenprobleme, Kapazitätsengpässe und hohe Standortkosten. Rückläufige Bestellungen aus Europa und den USA verstärkten diesen Abwärtstrend. Die Auftragslage blieb schwach, und die Produktionskapazitäten wurden lediglich zu 75 Prozent ausgelastet. Seit vier Jahren liegen diese Werte unter dem wirtschaftlich tragfähigen Niveau, was zur dauerhaften Stilllegung von Produktionsanlagen führte.

Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands leidet vor allem unter hohen Produktionskosten, Energiepreisen und zunehmender regulatorischer Belastung. Markus Steilemann, Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), kritisierte die Politik scharf: „Die Kommission reguliert Europa in den Stillstand.“ Die Forderung nach Bürokratieabbau und gezielten Investitionen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Standorte war 2024 dringender denn je. Denn vor allem Chemieunternehmen zeigen verstärkt Bereitschaft, ihre Innovations- und Produktionskapazitäten ins Ausland zu verlagern, vor allem in die USA und nach Asien, wo bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen herrschen. China hat zuletzt stark in die eigene Pharmaindustrie investiert und positioniert sich zunehmend als Konkurrent etablierter europäischer und nordamerikanischer Unternehmen.

Europa: Uneinheitliche Entwicklungen im globalen Wettbewerb

Auch die europäische chemisch-pharmazeutische Industrie sah sich 2024 großen Herausforderungen gegenüber. Hohe regulatorische Hürden bei Arzneimittelpreisen in vielen europäischen Ländern und die steigende Abhängigkeit von außereuropäischen Rohstofflieferanten verschärften laut VCI die Situation. Länder wie Frankreich und Italien verzeichneten sinkende Einkaufsmanagerindizes, was auf eine schwache industrielle Aktivität hindeutete. Dennoch blieb Europa einer der Hauptabnehmer deutscher Pharmaexporte, obwohl auch hier ein Rückgang der Bestellungen spürbar war.

Die größten Unsicherheiten drohen allerdings aus den USA – dem größten und wichtigsten Absatzmarkt für Medizintechnik und Arzneimittel weltweit, in dem etwa die Hälfte des weltweiten Umsatzes im Arzneibereich getätigt wird. Mit einem Anteil von 16,4 Prozent an den weltweiten Ausfuhren sind die USA auch der größte Abnehmer pharmazeutischer Produkte aus Deutschland. Macht der neue US-Präsident Donald Trump mit seinen Industrieplänen ernst, wird dies auch für europäische Pharmahersteller nicht ohne Konsequenzen bleiben. Trump plant nicht nur die Einführung eines generellen Zolls von etwa 10 Prozent auf alle Importe, seine Politik schwächt auch globale Handelsabkommen und könnte zu einer Fragmentierung der Weltwirtschaft führen. Dadurch würde die Planungssicherheit für europäische Pharmaunternehmen deutlich sinken. Eine mögliche Konsequenz: Forschung und Produktion könnten zunehmend in die USA verlagert werden. Alleine in der deutschen Pharmabranche hängen etwa 28 Prozent der Arbeitsplätze von Exporten in die USA ab.

Wie real diese Befürchtungen sind, lässt sich allerdings kaum abschätzen – zu unberechenbar waren in der Vergangenheit die politischen Manöver Trumps – und auch die EU-Kommission droht bereits mit Gegenmaßnahmen. Dazu kommt, dass die EU für die Pharmaindustrie ein wichtiger Innovationsraum ist. Projekte wie die Förderung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) und eine verstärkte Ausrichtung auf nachhaltige Produktionsmethoden kennzeichnen die Trends. Auch die Politik hat dies erkannt und flankiert die Bemühungen der Branche beispielsweise in Deutschland mit der in 2024 implementierten Nationalen Pharmastrategie.

Trends und Innovationen als Schlüssel zur Zukunft

Megatrends wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Biotechnologie prägen zunehmend die chemisch-pharmazeutische Industrie. Forschung und Entwicklung (F&E) bleiben zentrale Bereiche. Deutsche Pharmaunternehmen investieren laut BPI weiterhin rund 16 Prozent ihres Umsatzes in innovative Technologien und Produkte. Biopharmazeutika, personalisierte Medizin und digitale Gesundheitslösungen wie DiGA stehen im Fokus der Innovationsagenda.

Die grüne Transformation ist ein weiterer zentraler Trend. Der Druck, chemische und pharmazeutische Prozesse und Produkte umweltfreundlicher zu gestalten, führt zu intensiven Investitionen in nachhaltige Technologien. Die Integration von künstlicher Intelligenz (KI) in Produktions- und F&E-Prozesse wird als Schlüsselinnovation angesehen, um Effizienzsteigerungen zu ermöglichen und Produktionskosten zu senken.

Verhaltener Optimismus für 2025

Die Aussichten für 2025 sind verhalten optimistisch. Der VCI prognostiziert für die chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland ein geringes Produktionswachstum von 0,5 Prozent. Während die Pharmasparte eine leichte Erholung erfahren könnte, wird die Chemie wahrscheinlich stagnieren. Weltweit wird der Markt weiterhin von der starken Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen und neuen Arzneimitteln angetrieben. Im aktuellen „Pharmaceutical Chemicals Global Market Report 2025“ prognostiziert das Marktforschungsunternehmen The Business Research Company bis 2029 eine jährliche Wachstumsrate von 7,4 Prozent.

Fazit: Die Herausforderungen des Jahres 2024 haben die strukturellen Schwächen und Anpassungsbedürfnisse der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Deutschland offengelegt. Vor allem politische Unsicherheiten bremsen derzeit den Ausbau der Industrie. Die erfolgsverwöhnte Branche sieht sich einem heftigen Gegenwind aus US-Handelspolitik und verschärften Regularien ausgesetzt. Doch die Stärke der europäischen Pharmaindustrie - besonders bei Innovation und Forschung – gibt Anlass zur Hoffnung. Der F&E-Anteil von 10 Prozent am Produktionswert liegt dreimal höher als der Industriedurchschnitt. Die Neuausrichtung der Produktionsprozesse und der digitale Wandel eröffnen vielversprechende Perspektiven. Politisch dürften die kommenden Jahre turbulent werden – oder wie ein Zeit-Journalist einst schrieb: „Trump ist unberechenbar – und stolz darauf.“

März 2024: Pharmaindustrie in 2024 vor Herausforderungen und Chancen

Blockbuster oder individuelle Arznei? Die Möglichkeiten für Arzneimittelhersteller erscheinen schier endlos. Doch die erfolgsverwöhnte Branche sieht sich zuletzt einem heftigen Gegenwind aus Wettbewerb, regulativen Eingriffen und grassierenden Kosten gegenüber. Das zwingt viele Hersteller zum Umdenken – und dem Einsatz neuer Technologien und Methoden.

Mit dem Wirkstoff Semaglutid gelang Novo Nordisk ein ganz großer Wurf: Das Präparat katapultierte den dänischen Pharmakonzern in 2023 quasi über Nacht an die Spitze der wertvollsten börsennotierten Unternehmen in Europa. Und Novo Nordisk hat den Wachstumsmarkt für Abnehmspritzen bislang fast für sich alleine: Lediglich der amerikanische Wettbewerber Eli Lilly bietet bislang ein Alternativpräparat an. Die Erwartungen der Aktionäre kommen nicht von ungefähr: Analysten der Investmentbank Goldman Sachs schätzen, dass die Umsätze mit Abnehmspritzen bis 2030 von derzeit 6 Milliarden US-Dollar auf 100 Milliarden Dollar wachsen werden. Auch deshalb will Lilly im pfälzischen Alzey ein neues Werk bauen und 2,5 Milliarden Dollar investieren.

Der Hype um die neuen Abnehm-Präparate wirft ein Schlaglicht auf die aktuellen Entwicklungen in der Pharmazeutischen Industrie. Denn nach dem Boom in den Corona-Jahren ist die Branche zuletzt hart gelandet. In 2022 erzielte die Branche in Deutschland noch ein moderates Produktionswachstum von drei Prozent, in 2023 schrumpfte die Produktion der erfolgsverwöhnten Industrie laut Branchenverband vfa um 1,4 Prozent und auch 2024 rechnet der Verband lediglich mit einem Plus von 2,0 Prozent.

Vor allem in Deutschland und Europa machen der Branche die gestiegenen Energiepreise zu schaffen: Im Gegensatz zur Chemieindustrie ist die Energieintensität der Pharmaproduktion zwar unterdurchschnittlich, doch die Hersteller sind auf Vorleistungen aus energieintensiven Industrien angewiesen. Dazu kommen Inflation, hohe Zinssätze, neue Steuergesetze und wachsende politische Risiken.

Preissetzungsmacht führt zum Vertrauensverlust

In den USA, dem wichtigsten Markt für Arzneimittel, droht zusätzliches Ungemach: Als Reaktion steigende Preise hat die Biden-Administration im Zuge des Inflation Reduction Act beschlossen, dass künftig die Preise für einige der am häufigsten verwendeten Medikamente erstmals verhandelbar sein sollen. Nach dem Hype um die Leistungsfähigkeit der Arzneimittelhersteller zur Bekämpfung der Covid-Pandemie war der Absturz jäh: Nicht zuletzt die Diskussion um den Inflation Reduction Act rückte die Hochpreispolitik einiger Originalpräparate-Hersteller negativ ins Rampenlicht. Der Vertrauensverlust führt dazu, dass künftig Entscheidungen der Unternehmen – seien es Preisentscheidungen, Fusionen und Übernahmen, Investitionen in künstliche Intelligenz oder Personalabbau – genau unter die Lupe genommen werden.

Doch es sind nicht nur die steigenden Kosten und der kritischere Blick der Öffentlichkeit, die das Umfeld für Arzneimittelhersteller belasten. Denn der Eindruck durch die Erfolgsmeldungen um Abnehmspritzen täuscht: Der Wettbewerb wird im Pharmamarkt immer schärfer – und das nicht nur bei Blockbuster-Themen wie der Behandlung von Diabetes und Fettleibigkeit. Immer mehr Hersteller forschen deshalb an Präparaten für seltene Krankheiten oder individualisierten Therapieansätzen – und sind bereit, dafür höhere Risiken einzugehen. Vor allem vom Einsatz transformativer Technologien wie künstlicher Intelligenz und digitaler Gesundheit in der biopharmazeutischen Forschung erhoffen sich Arzneimittelhersteller spannende neue Möglichkeiten. Die Fähigkeit, sich diese technologischen Fortschritte zu eigen zu machen, wird zu einem immer wichtigeren Wettbewerbsfaktor.

Künstliche Intelligenz in der gesamten Pharma-Wertschöpfungskette einsetzen

Dabei geht es längst nicht nur um den Einsatz von KI in der Wirkstoffentwicklung. Potenzial liegt in der gesamten pharmazeutischen Wertschöpfungskette – vom Identifizieren aussichtsreicher Wirkstoffe, über die Planung klinischer Studien, dem Verfassen von Dokumenten bis hin zum Marketing und zur Kundengewinnung. Das Marktforschungsunternehmen PwC schätzt, dass Generative Künstliche Intelligenz in mehr als 200 Bereichen der Arzneimittelherstellung einen signifikanten Wertbeitrag liefern kann.

Doch auch an anderen Stellen besteht Handlungsbedarf: Während das Umsatzwachstum vor allem mit Blick auf die „Börsenstory“ nach wie vor wichtig ist, um notwendiges Kapital einzusammeln, rückt auch das Kostenmanagement in den Vordergrund. Ein prominentes aktuelles Beispiel liefert der Bayer-Konzern: Der Pharma- und Agrochemiehersteller will bis Ende 2025 tausende Stellen streichen – vor allem im Management. Konzernchef Bill Anderson setzt dabei auf einen Kulturwandel, in dem Führungskräfte eher als Coach für ihre Mitarbeiter agieren, während die Mitarbeiter mehr Entscheidungskompetenzen erhalten. Aber auch andere Unternehmen der Pharmaindustrie haben zuletzt Sparmaßnahmen angekündigt. Denn der Kostendruck steigt: Hohe Lohnabschlüsse als Folge der Inflation belasten genauso wie teurere Energie und steigende Preise für Vorprodukte. Und letztere sind infolge von Betriebsstillegungen der aktuell noch viel stärker gebeutelten Chemieindustrie immer häufiger nicht mehr vom angestammten Lieferanten erhältlich. Dazu kommt, dass bei vielen Cash-Cows der Arzneimittelhersteller der Patentschutz ausläuft. Allein in 2023 haben Schätzungen des Marktforschungsunternehmens Evaluate Pharma zufolge Arzneimittel mit einem Jahresumsatz von 57 Milliarden US-Dollar ihren Patentschutz verloren. Und auch die erfolgsverwöhnten Hersteller von biopharmazeutischen Arzneimitteln müssen seit 2022 den Gürtel enger schnallen: Die Helden der Covid-Pandemie haben deutlich an Börsenwert verloren und auch gestiegene Zinsen lasten auf der Bereitschaft, Wagniskapital einzusetzen.

Fazit:

2024 dürfte für die globale Pharmaindustrie ein spannendes Jahr werden, das sowohl Chancen als auch Herausforderungen birgt. Die Hersteller müssen sich wie nie zuvor ihr Wettbewerbsumfeld klar machen, Innovation vorantreiben und gleichzeitig die Kosten im Blick behalten. KI und andere neue Technologien werden dabei immer wichtiger, strategische Zusammenschlüsse und Akquisitionen sind ebenfalls probate Mittel im Kampf um eine zukunftsfähige Aufstellung. Denn auch jenseits von Abnehmspritzen – beispielsweise in der Bekämpfung von Krebs und Alzheimer – gibt es lukrative Felder, in denen Arzneimittelhersteller einen Beitrag leisten können.

Autor

Armin Scheuermann
Armin Scheuermann
Chemical engineer and freelance specialised journalist