• 30.04.2025
  • Artikel

EU-GMP Annex 1: Was Betreiber und Lieferanten pharmazeutischer Anlagen jetzt wissen müssen

Spätestens seit August 2024 ist der neue EU-GMP Annex 1 für alle Arzneimittelhersteller verbindlich. Doch viele Betreiber und Planer haben die Tragweite der Änderungen noch nicht erfasst – auch dank des trügerischen Bestandsschutzes. Dieser Artikel zeigt, was sich konkret geändert hat, was jetzt zu tun ist – und warum auch Lieferanten nicht länger abwarten dürfen.

Geschrieben von Armin Scheuermann

KI-generiertes Bild eines Labormitarbeiters, der einen Pharmareaktor unter die Lupe nimmt
Auch wer Pharmaanlagen bislang unter Bestandsschutz betreibt, sollte sich mit den Anforderungen des neuen GMP Annex 1 beschäftigten.

Viele kennen ihn – aber wenige sind vorbereitet: Seit dem 25. August 2023 ist der überarbeitete EU-GMP Annex 1 verbindlich in Kraft und im August 2024 endete auch die Übergangsfrist für Gefriertrockner. Die neue Richtlinie für die Herstellung steriler Arzneimittel sorgt seither für Diskussionen in der Pharmaindustrie – allerdings oft nur in Expertenzirkeln. In der Praxis vieler Betreiber und Planer pharmazeutischer Anlagen herrscht dagegen noch erstaunliche Zurückhaltung – doch spätestens mit dem Besuch von Behördenvertretern kann sich das schlagartig ändern.

„Bestandschutz“ lautet oft das Argument, warum man sich noch nicht aktiv mit den neuen Anforderungen beschäftigt hat. Schließlich dürfen bestehende Anlagen weiterhin betrieben werden – soweit keine Änderungen vorgenommen werden. Doch genau hier liegt die Crux: Wer jetzt in bestehende Prozesse eingreift, modernisiert oder neu plant, kommt an den verschärften Anforderungen des neuen Annex 1 nicht mehr vorbei.

Was ist neu – und was ändert sich konkret im Alltag?

Die überarbeitete Annex-1-Richtlinie ist umfangreicher und präziser geworden. Der Text wurde erweitert und ist in zehn klar strukturierte Abschnitte unterteilt. Die entscheidenden Neuerungen betreffen vor allem:

  1. Die Kontaminationskontrollstrategie (CCS): Die CCS ist das Herzstück des neuen Annex 1. Betreiber müssen für ihre Anlagen und Prozesse eine durchgängige Strategie zur Vermeidung von Kontaminationen nachweisen – von der Rohstoffanlieferung bis zur Abfüllung. Das umfasst unter anderem die Umweltüberwachung, Reinigungsvalidierung, Materialflüsse, Personalhygiene sowie technische Barrieren (RABS, Isolatoren). Was bislang als „Best Practice“ galt, ist jetzt verbindlicher Standard. Anlagen müssen nicht nur sicher sein – die Sicherheit muss jederzeit nachvollziehbar dokumentiert werden.
  2. Qualitätsrisikomanagement (QRM): Auch das Risikomanagement wird verschärft: Betreiber müssen Gefahren entlang des gesamten Produktlebenszyklus systematisch bewerten und ihre Maßnahmen regelmäßig aktualisieren. Dabei gilt: Je höher das Risiko einer Kontamination, desto strenger die Vorgaben.
  3. Reinraum- und Umgebungsüberwachung: Eine weitere zentrale Neuerung betrifft die Reinraumplanung und -qualifizierung. Neu sind unter anderem die verpflichtende Strömungsvisualisierung bei der Reinraumqualifizierung und die präzisierten Anforderungen an Schleusenkonzepte und Materialflüsse. Die Vorgaben zur Personalhygiene sind strenger geworden (z. B. sterile Schutzkleidung in Klassen A/B) – in der Folge muss das Schleusenkonzept neu gedacht werden.

Was bedeutet das für Betreiber pharmazeutischer Anlagen?

Zunächst gilt es, sich ehrlich zu fragen: Was betrifft mich jetzt konkret? Und was betrifft mich erst bei einer Neuplanung?

Sofortiges Handeln ist erforderlich bei:

  • Sterilisationsprozessen: Diese müssen täglich nachweislich funktionieren, etwa durch Dichtigkeitsprüfungen.
  • Datenintegrität: Jede Prozessdokumentation muss ALCOA-konform sein – also nachvollziehbar, lesbar, zeitnah und unveränderbar.
  • Reinraumüberwachung: Vor allem Bestandsanlagen sollten kritisch geprüft werden – ist die bestehende Technik noch Annex-1-konform?

Langfristige Maßnahmen:

  • Überprüfung und ggf. Anpassung der gesamten CCS und des QRM
  • Planung zukünftiger Anlagen strikt nach Annex 1
  • Schulung und Sensibilisierung des Personals
  • Evaluation technologischer Optimierungen (RABS, Isolatoren, Automatisierung)

Was ändert sich für Lieferanten und Ausrüster pharmazeutischer Anlagen?

Auch für Hersteller und Lieferanten von Pharma-Equipment wird der neue Annex 1 zur Nagelprobe. Lieferanten sollten künftig deutlich früher in die Planung eingebunden werden – Stichwort: Design Qualification (DQ). Diese Phase der Qualifizierung war lange ein Stiefkind, gewinnt jetzt aber massiv an Bedeutung. Denn: Fehler in der Spezifikation kosten später sehr viel Geld und Zeit.

Lieferanten sollten sich auf folgende Anforderungen einstellen:

  • Nachweis von CCS-Konformität ihrer Produkte
  • Unterstützung bei der DQ und Spezifikationserstellung
  • Schnittstellenfähigkeit zu IT-Systemen (z. B. für Datenintegrität)
  • Beratungskompetenz zu Annex-1-konformen Lösungen (z. B. Schleusenkonzepte, Strömungsvisualisierung)
Messegeschehen auf der POWTECH 2023 – im Vordergrund Pharma-Equipment
Lieferanten von Pharma-Equipment sollten sich ebenfalls mit den Anforderungen der GMP-Annex 1 auseinandersetzen.

Digitalisierung und Automatisierung: Der Weg in die Zukunft

Der Trend ist klar: Die Automatisierung wird weiter zunehmen. Digitale Systeme helfen nicht nur bei der Prozesssteuerung, sondern sind ein Schlüssel zur Einhaltung der Datenintegrität. Je automatisierter ein Prozess, desto leichter ist er prüf- und dokumentierbar.

Dabei gilt es allerdings, die Vorgaben des Annex 11 für computergestützte Systeme zu beachten:

  • Klare Benutzerrechte und Rollenverteilungen
  • Einheitliche Zeitstempel über alle Systeme hinweg
  • Validierung aller IT-Systeme
  • Die Verbindung zwischen Annex 1 und Annex 11 wird immer enger – auch das sollten Lieferanten und Betreiber im Blick behalten.

Checkliste: Was sollten Unternehmen jetzt konkret tun?

  • Analyse des Ist-Zustandes: Was betrifft mich jetzt sofort? Welche Prozesse oder Anlagenänderungen sind geplant?
  • Erstellung einer Kontaminationskontrollstrategie: Erstellung und Dokumentation der CCS, Integration in alle relevanten Prozesse
  • Überprüfung und Anpassung des Risikomanagements: Laufende Aktualisierung der Risikoanalysen
  • Reinraumprozesse prüfen: Schleusenkonzepte, Personalhygiene, Umgebungsüberwachung
  • Qualifizierungsstrategie überdenken: Frühzeitige Einbindung von Lieferanten, Fokus auf Design Qualification (DQ)
  • Digitalisierung vorantreiben: IT-Systeme vereinheitlichen, Automatisierungspotenziale nutzen, Datenintegrität gewährleisten
  • Mitarbeiter schulen: CCS, QRM, ALCOA-Prinzipien

Fazit: Der neue Annex 1 verlangt von Betreibern pharmazeutischer Anlagen eine neue Denkweise: Proaktive Planung, lückenlose Dokumentation und gelebtes Risikomanagement über den gesamten Lebenszyklus der Anlage hinweg. Praktische Lösungen und Gelegenheit zum Fachaustausch dazu gibt es auf der POWTECH TECHNOPHARM im September 2025 in Nürnberg. Wer jetzt handelt, sichert sich nicht nur Compliance – sondern auch Zukunftsfähigkeit. Wer wartet, läuft Gefahr, bei der nächsten Anlagenänderung von der Realität des Annex 1 eingeholt zu werden.

Pharmatechnologie im Fokus: Was die POWTECH TECHNOPHARM 2025 bietet

Die POWTECH TECHNOPHARM 2025 in Nürnberg ist der zentrale Branchentreffpunkt für Fachleute aus Pharmaindustrie, Anlagenbau und Verfahrenstechnik. Die Messe bietet nicht nur Produktinnovationen – sie ist zugleich Wissensplattform und Netzwerkveranstaltung. Besonders im Fokus stehen Technologien und Lösungen, die Betreiber bei der Umsetzung der neuen GMP-Vorgaben aus Annex 1 unterstützen. Themenhighlights für Pharmaunternehmen:

  • Technologien für die Pharmaherstellung
  • GxP-konforme Verfahren: Spezialisierung auf die Herstellung von flüssigen, halbfesten und festen Pharmazeutika unter Einhaltung regulatorischer Standards (z. B. Hygienevorgaben, Containment-Lösungen)
  • Hygiene und Containment: Aussteller präsentieren Technologien zur Kontaminationsvermeidung, z. B. sterile Anlagenkomponenten und geschlossene Systeme
  • Prozessoptimierung: Automatisierungslösungen zur Steigerung der Effizienz und Reproduzierbarkeit in der Pharmaproduktion
  • Rahmenprogramm und Weiterbildung: Fachvorträge und Workshops: Themen wie Trends in der Pharmatechnik, Validierung von Prozessen und digitale Dokumentation (ALCOA-Prinzipien)

Autor

Armin Scheuermann
Armin Scheuermann
Chemical engineer and freelance specialised journalist