Viele kennen ihn – aber wenige sind vorbereitet: Seit dem 25. August 2023 ist der überarbeitete EU-GMP Annex 1 verbindlich in Kraft und im August 2024 endete auch die Übergangsfrist für Gefriertrockner. Die neue Richtlinie für die Herstellung steriler Arzneimittel sorgt seither für Diskussionen in der Pharmaindustrie – allerdings oft nur in Expertenzirkeln. In der Praxis vieler Betreiber und Planer pharmazeutischer Anlagen herrscht dagegen noch erstaunliche Zurückhaltung – doch spätestens mit dem Besuch von Behördenvertretern kann sich das schlagartig ändern.
„Bestandschutz“ lautet oft das Argument, warum man sich noch nicht aktiv mit den neuen Anforderungen beschäftigt hat. Schließlich dürfen bestehende Anlagen weiterhin betrieben werden – soweit keine Änderungen vorgenommen werden. Doch genau hier liegt die Crux: Wer jetzt in bestehende Prozesse eingreift, modernisiert oder neu plant, kommt an den verschärften Anforderungen des neuen Annex 1 nicht mehr vorbei.
Was ist neu – und was ändert sich konkret im Alltag?
Die überarbeitete Annex-1-Richtlinie ist umfangreicher und präziser geworden. Der Text wurde erweitert und ist in zehn klar strukturierte Abschnitte unterteilt. Die entscheidenden Neuerungen betreffen vor allem:
- Die Kontaminationskontrollstrategie (CCS): Die CCS ist das Herzstück des neuen Annex 1. Betreiber müssen für ihre Anlagen und Prozesse eine durchgängige Strategie zur Vermeidung von Kontaminationen nachweisen – von der Rohstoffanlieferung bis zur Abfüllung. Das umfasst unter anderem die Umweltüberwachung, Reinigungsvalidierung, Materialflüsse, Personalhygiene sowie technische Barrieren (RABS, Isolatoren). Was bislang als „Best Practice“ galt, ist jetzt verbindlicher Standard. Anlagen müssen nicht nur sicher sein – die Sicherheit muss jederzeit nachvollziehbar dokumentiert werden.
- Qualitätsrisikomanagement (QRM): Auch das Risikomanagement wird verschärft: Betreiber müssen Gefahren entlang des gesamten Produktlebenszyklus systematisch bewerten und ihre Maßnahmen regelmäßig aktualisieren. Dabei gilt: Je höher das Risiko einer Kontamination, desto strenger die Vorgaben.
- Reinraum- und Umgebungsüberwachung: Eine weitere zentrale Neuerung betrifft die Reinraumplanung und -qualifizierung. Neu sind unter anderem die verpflichtende Strömungsvisualisierung bei der Reinraumqualifizierung und die präzisierten Anforderungen an Schleusenkonzepte und Materialflüsse. Die Vorgaben zur Personalhygiene sind strenger geworden (z. B. sterile Schutzkleidung in Klassen A/B) – in der Folge muss das Schleusenkonzept neu gedacht werden.
Was bedeutet das für Betreiber pharmazeutischer Anlagen?
Zunächst gilt es, sich ehrlich zu fragen: Was betrifft mich jetzt konkret? Und was betrifft mich erst bei einer Neuplanung?
Sofortiges Handeln ist erforderlich bei:
- Sterilisationsprozessen: Diese müssen täglich nachweislich funktionieren, etwa durch Dichtigkeitsprüfungen.
- Datenintegrität: Jede Prozessdokumentation muss ALCOA-konform sein – also nachvollziehbar, lesbar, zeitnah und unveränderbar.
- Reinraumüberwachung: Vor allem Bestandsanlagen sollten kritisch geprüft werden – ist die bestehende Technik noch Annex-1-konform?
Langfristige Maßnahmen:
- Überprüfung und ggf. Anpassung der gesamten CCS und des QRM
- Planung zukünftiger Anlagen strikt nach Annex 1
- Schulung und Sensibilisierung des Personals
- Evaluation technologischer Optimierungen (RABS, Isolatoren, Automatisierung)
Was ändert sich für Lieferanten und Ausrüster pharmazeutischer Anlagen?
Auch für Hersteller und Lieferanten von Pharma-Equipment wird der neue Annex 1 zur Nagelprobe. Lieferanten sollten künftig deutlich früher in die Planung eingebunden werden – Stichwort: Design Qualification (DQ). Diese Phase der Qualifizierung war lange ein Stiefkind, gewinnt jetzt aber massiv an Bedeutung. Denn: Fehler in der Spezifikation kosten später sehr viel Geld und Zeit.
Lieferanten sollten sich auf folgende Anforderungen einstellen:
- Nachweis von CCS-Konformität ihrer Produkte
- Unterstützung bei der DQ und Spezifikationserstellung
- Schnittstellenfähigkeit zu IT-Systemen (z. B. für Datenintegrität)
- Beratungskompetenz zu Annex-1-konformen Lösungen (z. B. Schleusenkonzepte, Strömungsvisualisierung)