Wenn eine Releaf-Tragetasche geknautscht wird, klingt es, als würde Herbstlaub unter den Schuhen zerbröseln. Genau das steckt auch drin: Gefallene Blätter aus Pariser Alleen wurden zu Zellstoff vermahlen – ohne Chlor und mit einem Restduft von Waldspaziergang. Releafs Pilotlinie bei Les Mureaux produziert bereits 100 Tonnen pro Monat und kommt mit 0,002 Litern Wasser und 0,066 Kilogramm CO₂ je Kilogramm Papier aus. Das sind rund 70 Prozent weniger als der Branchenschnitt. Denn obwohl Papier aufgrund seiner hohen Recyclingquote und der Verwendung nachwachsender Rohstoffe als umweltfreundlich gilt, wird die klassische Produktion aus Holz aufgrund des immensen Bedarfs zunehmend kritisch gesehen. Holzpreise, Energieknappheit und Klimaziele gehören zu den Herausforderungen der Hersteller. Grund genug, die Rohstoffbasis neu zu denken.
Einige Zahlen verdeutlichen die Dimension: Europa liefert gut ein Fünftel der weltweiten Papierproduktion, beschäftigt über 180.000 Menschen und erwirtschaftet einen Umsatz von rund 100 Mrd. Euro. Die Papierproduktion ist jedoch ein ressourcenintensiver Prozess: Pulping, Refining, Screening, Dewatering und Trocknen – jede Stufe der mechanischen Verfahrenstechnik entscheidet über den Energiebedarf, den Wasserverbrauch und den Chemikalieneinsatz. Zwar lässt sich auch in der klassischen Papierproduktion die Effizienz steigern, beispielsweise kann der Frischwasserbedarf durch geschlossene Kreisläufe auf 1 bis 2 l/kg Papier gesenkt werden. Wer jedoch alternative Fasern verwendet, kann noch einen weiteren Gang zurückschalten, denn Gras, Hanf oder Silphie benötigen weniger Lignin-Aufschluss und kürzere Mahlzeiten. Das reduziert nicht nur den Chemieeinsatz, sondern verlängert auch die Standzeit der Technik, beispielsweise von Press- und Blattsieben. Es gibt mindestens sieben gute Gründe für neue Fasern:
- Holz schonen: Kurzlebige Verpackungen dürfen keine alten Fichten fressen.
- Biodiversität sichern: Jeder nicht gefällte Baum bleibt Habitat.
- Weniger Input: Alternative Papiere sparen Wasser, Energie und Additive.
- CO₂-Bilanz: Gras und Bagasse wachsen im Jahrestakt und binden CO₂ schneller, als es freigesetzt wird.
- Regionale Wertschöpfung: Silphie wächst vor der Haustür, Gras am Böschungsrand und Laub fällt überall an.
- Chemikalien reduzieren: Grasfasern kommen fast ohne Bleichstufen aus.
- Kreislaufwirtschaft: Reststoffe aus der Landwirtschaft oder dem städtischen Grünschnitt schließen Stoffkreise.
Wer liefert schon heute?
Die gute Nachricht zuerst: Die Entwicklung alternativer Papierrohstoffe ist längst keine Zukunftsmusik mehr – sie ist bereits in vollem Gange. Und sie läuft in Europa auf Hochtouren. Ganz vorne mit dabei ist Releaf, ein junges Unternehmen mit Wurzeln in der Ukraine, das inzwischen in Estland und Frankreich aktiv ist. Releaf verarbeitet herabgefallene Blätter aus städtischen Ökosystemen zu stabilem, atmungsaktivem Papier für Tüten, Kartonagen und Notizbücher. Der Clou: Kein einziger Baum muss dafür fallen. Das Laub wird gesammelt, granuliert und zu Faserstoff aufgeschlossen. Das Resultat ist ein industriell kompostierbares Papier, das sich innerhalb von 55 Tagen vollständig abbaut.
Auch aus Deutschland kommt Bewegung: OutNature, ein Ableger der PreZero-Gruppe, setzt auf die durchwachsene Silphie, eine regionale Energiepflanze mit hohem Zellulosegehalt. Die Silphie-Fasern lassen sich in bestehenden Papierfabriken verarbeiten und ergeben ein vollständig recyclingfähiges Papier, das sich nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch gut in den Stoffkreislauf einfügt.
NextGenPaper geht einen anderen Weg: Das Start-up produziert Papier aus Bagasse, den faserigen Überresten der Zuckerrohrverarbeitung. In Kombination mit einer wasserbasierten Barrierebeschichtung entsteht ein mehrschichtiges Papier, das ohne Kunststoff auskommt und dennoch fettdicht, wasserabweisend und recyclingfähig bleibt – ideal für Verpackungen mit direktem Lebensmittelkontakt.
Noch einen Schritt weiter geht die Kooperation zwischen Traceless Materials und dem Verpackungsriesen Mondi. Hier entstehen Barrierepapiere mit einer Beschichtung aus pflanzlichen Reststoffen. Sie sind nicht nur funktional, sondern auch vollständig kompostierbar – ganz ohne fossile Rohstoffe oder Mikroplastik.