Dieser „Gramsci-Gap“ lässt sich auch in der Industrie beobachten: Zwischen dem Ende alter Geschäftsmodelle und dem stabilen Beginn neuer Technologien entsteht ein produktives, aber riskantes Vakuum. Orientierungslosigkeit. Zögerlichkeit. Disruption.
KI allein ist nicht die Revolution
Der Hype um KI verstellt dabei leicht den Blick auf das große Ganze. KI ist nicht der alleinige Treiber der nächsten Welle, sondern nur ein Teil davon. Die wahre Revolution liegt in der Kombination von Technologien.
- Biobasierte Chemie ersetzt fossile Moleküle durch nachwachsende.
- Biopharma verändert die Medikamentenentwicklung grundlegend.
- Nachhaltigkeitsziele erfordern neue Bewertungsmaßstäbe in Prozessen.
- KI wiederum schafft neue Steuerungsmöglichkeiten für hochkomplexe Systeme.
All diese Megatrends basieren auf einem Rohstoff: Daten. Und diese müssen aus den Prozessen gewonnen werden. Hier beginnt die Verantwortung von uns Ingenieur:innen.
Die Technik liefert Daten und schafft Wert
Die Grundlage für datengestützte Geschäftsmodelle, Smart Services und adaptive Produktionssysteme entsteht dort, wo Sensorik, Steuerung, Prozessleittechnik und IT miteinander verschmelzen. Wer eine durchgängige Datenkette vom Feldgerät bis zur Cloud aufbaut, schafft die Basis für den Wandel.
Technologien wie Ethernet-APL bieten bereits heute die physikalische Grundlage für eine Hochgeschwindigkeits-Datenkommunikation, selbst aus explosionsgeschützten Zonen. Das einst als Nische geltende Thema wird zum Standard.
Doch die Infrastruktur allein reicht nicht. Der Wandel verlangt die Anwendung neuer Datenmodelle wie beispielsweise DEXPI sowie offene Plattformen, die Interoperabilität zulassen und den konsequenten Einsatz digitaler Zwillinge, die sich über den gesamten Anlagenlebenszyklus erstrecken – von der Planung über den Betrieb bis zum Rückbau.
Diskrepanz zwischen Notwendigkeit und Haltung
Eine aktuelle VDI-Studie aus dem Mai 2025 zeigt jedoch, dass weniger als 40 Prozent der befragten Ingenieur:innen in Deutschland davon ausgehen, dass sich ihr Arbeitsumfeld durch KI unmittelbar grundlegend verändern wird. Das steht in krassem Gegensatz zu einer Gartner-Prognose, der zufolge bis spätestens 2027 80 % der technischen Belegschaft gezwungen sein werden, ihre KI-Kompetenzen auszubauen.
Diese kognitive Dissonanz zwischen Anforderung und Erwartung ist ein Risiko für den Standort. Während die USA mit dem Inflation Reduction Act massenhaft Investitionen in digitale und grüne Technologien lenken und China Plattform und Produktion verbindet, dominiert in Europa das Zögern. Die Tatsache, dass in China ab Herbst 2025 KI-Kurse für Schüler der Primarstufe verpflichtend sein werden und die Zahl der Ingenieurstudierenden in China etwa dreimal so hoch ist wie in Europa, lässt erahnen, wie es um die künftige Wettbewerbsfähigkeit europäischer und deutscher Ingenieurskunst bestellt sein könnte.
Fazit: Jetzt handeln – oder von der Welle überrollt werden!
Die sechste Kondratieff-Welle rollt. Und sie ist kein Trend, den man aussitzen kann. Europa bringt viel mit: exzellente Ausbildung, ein hervorragendes Ökosystem aus Industrie, Fachkräften und Forschern, eine der größten Volkswirtschaften der Welt und ethische Standards. Was jetzt zählt: Mut zur Umsetzung, Offenheit für neue Denkweisen und die Bereitschaft, die Digitalisierung als industrielle Kernkompetenz zu verstehen.