- 06.10.2025
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Reißverschluss statt Reaktorstahl: Wie Kunststoffbeutel die Pharma-Produktion verändern
Ob Crimpverschluss oder ZIP-System: Was nach Versandhandel klingt, revolutioniert die Pharmaindustrie. Auf der POWTECH TECHNOPHARM 2025 zeigte sich, wie Single-use-Containment-Systeme nicht nur die Regeln in der Produktion hochpotenter Wirkstoffe neu schreiben: Auch die Hersteller von Biopharmaka setzen verstärkt auf Single-use-Containment-Lösungen.
Geschrieben von Armin Scheuermann

Ein Operator steht in voller Schutzmontur vor einem Isolator, greift mit langen Handschuhen in die Schleuse. Auf dem Weg in die Abfüllung: ein steriles Pulver mit toxikologischer Einstufung OEB 5. In der Vergangenheit wären hier Edelstahlcontainer, Autoklaven und stundenlange Reinigungszyklen Standard gewesen. Heute reicht ein vorsterilisierter Beutel mit Crimp-Verschluss; danach: entsorgen, neu anschließen, weiter produzieren.
Was nach Pragmatismus klingt, ist tatsächlich ein strategischer Wandel. Single-use-Containment hat sich in vielen Bereichen der pharmazeutischen Fertigung vom Spezialfall zum Systemstandard entwickelt. Die POWTECH TECHNOPHARM 2025 lieferte dafür den Beleg: Die führenden Anbieter präsentierten Lösungen für das sichere, schnelle und regulatorisch valide Handling hochpotenter oder aseptischer Materialien.
Regulatorik zwingt zur Innovation
Ein wesentlicher Treiber ist dabei der Annex 1 der EU-GMP-Richtlinie. Er fordert geschlossene Systeme, minimierte menschliche Eingriffe und vollständige Contamination Control Strategien (CCS). Die Folge: Isolatoren mit Rapid-Transfer-Ports, aseptische Split-Butterfly-Valves und Einweg-BetaBags sind keine Kür mehr, sondern Pflicht. Besonders relevant sind dabei Pulvertransfers in sterile Reaktoren mit H₂O₂-Dekontamination – Sterility Assurance Level (SAL) 10⁻⁶ inklusive.

Technologie mit Tempo: Was auf der POWTECH TECHNOPHARM 2025 zu sehen war
Bemerkenswert war nicht nur die Vielfalt der gezeigten Systeme, sondern auch der Kontext: Mit der Rückkehr der TECHNOPHARM nach Nürnberg, die nun den pharmazeutisch geprägten Teil der bisherigen POWTECH wieder fokussiert, rückte die Prozess- und Containment-Technologie für die Pharmabranche sichtbar in den Mittelpunkt. Viele Aussteller zeigten explizit GMP-relevante Systeme, zahlreiche Gespräche und Vorträge drehten sich um Annex-1-Compliance, Reinigungsvalidierung und aseptische Transfers. Die Messe war nicht nur Schaufenster für neue Komponenten, sondern auch Stimmungsbarometer einer Branche im Umbruch: immer öfter weg vom starren Stahl, hin zur flexiblen Einweg-Lösung. Die Bandbreite der gezeigten Single-use-Lösungen war entsprechend beeindruckend:
- Rommelag Flex zeigte mit dem ZIP-System eine flexible Schnittstelle bis OEB 5, inklusive Powder Transfer Bags und Liner-Systemen. Neben dem Andocken von flexiblen Gebinden an biopharmazeutische Anlagen aus Edelstahl zeigte der Anbieter auch ein neues Material Transfer System, das auch das Abdocken von solchen Anlagen unter Containment-Anforderungen ermöglicht.
- ChargePoint präsentierte ChargeBag PE-S und AseptiSafe Bio-Valves, validiert für aseptische Transfers mit höchsten Containment-Anforderungen.
- ILC Dover fokussierte sich auf ArmorFlex-Filme und CrimpLoc-Systeme für kontrolliertes Pulver-Handling und hatte einen flexiblen Isolator mitgebracht.
- Auch Ezi-Dock sieht den Trend zum flexiblen Containment in der Biopharmazie und zeigte modulare Isolatoren mit TPU-Folie und gasdichten Reißverschlüssen.
- Hecht Technologie präsentierte Lösungen für die sichere Schüttgutverarbeitung bis OEB 5 – darunter den Containment Trommelentleerer CFE-L. Ergänzt wurde das Portfolio durch den ProClean Conveyor (PCC), ein geschlossenes Förderband für empfindliche Pulver und Granulate.
- Andocksysteme feierte auf der Messe ihr 25-jähriges Bestehen und zeigte neben dem bewährten Split Butterfly Valve (ASBV) eine Reihe neuer Containment-Lösungen. Besonders im Fokus: die modulare Single-use-Doppelklappe AVAX 150, entwickelt für höhere Durchsätze bei gleichzeitigem Containment-Level < 1 µg/m³. Mit dem neuen ACUBE®-System, einem geschlossenen FIBC-Container für den Einsatz in der Sterilproduktion, adressierte das Unternehmen auch das Thema Primärverpackung unter Containment-Bedingungen.
- Lugaia wiederum stellte ihre flexiblen Containment-Systeme als effiziente Alternative zu starren Isolatoren vor. Daneben zeigte Lugaia das SafePort TransferBag System – ein Einweg-Lösungsansatz für Pulvertransfers in Größen bis zu 180 Litern. Gemeinsam mit dem integrierten SafeStick-Verschluss lassen sich Transfers schnell, sicher und validierbar realisieren.
Diese Technologien ermöglichen steriles Ein- und Ausschleusen, Flüssigkeitstransfers und Probenahme – alles unter möglichst vollständigem Barriereschutz. Die Messe zeigte klar: Die Biopharma-Industrie denkt modular, closed und zunehmend single-use – und die Anbieter liefern dafür die passenden Systeme.
Wirtschaftlich, ökologisch, flexibel
Total Cost of Ownership (TCO) und Life Cycle Assessments (LCA) zeichnen ein klares Bild: Single-use-Lösungen senken die Betriebskosten durch Wegfall von CIP-/SIP-Prozessen, kürzen Stillstandzeiten und ermöglichen schnellere Produktwechsel. Studien zeigen, dass die Ökobilanz von Single-use-Systemen trotz des zusätzlichen Kunststoffabfalls oft positiver ausfällt als bei Edelstahl, weil Wasser- und Energieaufwand drastisch reduziert werden. Aber: Die Entsorgung bleibt eine Herausforderung. Hersteller wie ILC Dover arbeiten an Recycling-Initiativen und CO₂-Bilanzierungen (PCF), um die Umweltwirkungen transparenter und steuerbar zu machen.
Vergleich: Edelstahl-Systeme und Single-use-Containment
Kriterium | Edelstahl-Systeme | Single-use-Containment |
Reinigungsaufwand | Hoch (CIP/SIP, Validierung) | Entfällt (Einweg, vorsterilisiert) |
Produktwechsel-Zeit | Stunden bis Tage | Minuten bis wenige Stunden |
Investitionskosten (CapEx) | Hoch (inkl. Infrastruktur) | Geringer (kaum Skids, kompakter Aufbau) |
Betriebskosten (OpEx) | Energie-, Wasser- und Chemieverbrauch | Verbrauchsmaterialien, Entsorgungskosten |
Flexibilität | Gering bei Multi-Produktbetrieb | Hoch – ideal für kleine Chargen/Kampagnen |
Nachhaltigkeit (LCA) | Besser bei Langläufern & stabiler Energie | Besser bei häufigen Wechseln (weniger Energie) |
Einsatzgrenzen | Temperatur, Druck, Chemikalien → robust | Materialgrenzen bei Lösungsmitteln, Hitze etc. |
Zwischen Beutel und Stahl – wohin geht die Reise?
Edelstahl bleibt unschlagbar bei hohen Durchsätzen, aggressiven Medien oder schweren Komponenten. Doch dort, wo Schnelligkeit, kleine Mengen, personalisierte Medizin und Compliance im Vordergrund stehen, setzt sich ein hybrides Modell durch: robuste Edelstahlkerne, ergänzt durch Single-use-Komponenten an kritischen Schnittstellen. Und so ändert sich für Betreiber auch eine grundlegende Fragestellung: nicht mehr ob, sondern wo Single-use-Systeme den größten Mehrwert bringen – technisch, wirtschaftlich und regulatorisch.
Fazit
Die POWTECH TECHNOPHARM 2025 hat gezeigt: Single-use-Containment ist keine Mode, sondern Methode. Der Mix aus regulatorischem Druck, technologischem Fortschritt und ökonomischem Kalkül verankert das Konzept tief in der Praxis. Die Zukunft der Pharma-Produktion? Flexibler. Schneller. Geschlossener.